Ich ziehe mir gerade die Schuhe an. Nach einem Taster, einer Probestunde bei einem bekannten Tänzer, wechsle ich raus aus den Tanzschuhen, rein in die Sommerschuhe. Wir befinden uns irgendwo in Schweden, es ist Sommer, Urlaub, Ferien. Ich sitze auf einem Stein, den die Eiszeit bis hierher getragen hat und nur die letzte Rundung aus dem Boden schaut. Flechten wachsen hier und daneben trockenes Gras.
Mein Kopf ist leer, mein Körper müde, ich sortiere mich. Ja, ich fühle mich etwas nachdenklich, nach der Borreliose, was Schweden überhaupt für mich bedeutet, was Tanz für mich bedeutet. Es ist so ein Gefühl, welches ich schwer beschreiben kann, … daher nenne ich es Leere. Dieses Wort fühlt sich gerade richtig an.
Da steht jemand vor mir: „Hallo, so heiße ich, und da komme ich her.“
Im ersten Moment weiß ich nicht, ob ich gemeint bin und suche mich noch in dieser Leere. Aber da niemand sonst um mich herumsteht, bin wohl ich gemeint. Etwas verdutzt schaue ich dich an. Du bist etwas größer als ich, keck aufgerichtet, wacher Blick, vergnügtes Lächeln. Keine Ahnung, wo Du auf einmal her kommst.
Wahrscheinlich warst du auch gerade beim Taster, wir haben jedenfalls nicht miteinander getanzt.
Hallo
So hast du dich vorgestellt. Ich suche mich in meiner Leere zusammen und antworte, wie man es halt so tut. Und dann haben wir geplaudert. Wir haben so geredet, wie man halt reden, wenn man sich neu trifft: ohne Absicht oder Plan, einfach so drauf los. Manchmal war es tiefsinnig, manchmal irgendwie auch nicht belanglos. Dazwischen gab es Tänze, Sommer, Ostsee, Affogato.
Zwischen Nähe und Kontrolle
Du redest schnell. Deine Gedanken springen, verknüpfen, verlieren sich, fangen wieder an. Ich folge manchmal, und manchmal auch nicht. Wie gesagt, Du denkst sehr schnell. Manchmal muss ich darüber lächeln, weil ich noch einem Gedanken nachhänge, während Du schon weiter sprudelst.
Ich sehe, dass du viel Verantwortung trägst: Für dein Team, für Themen, für eine Idee davon, wie die Welt sein könnte, für Gerechtigkeit. Ich spüre, mit welcher Energie du darum ringst.
Das gefällt mir. Es hat etwas beruhigend Bewusstest und zugleich etwas Rastloses, Voranbringendes.
Ich glaube, Du magst es, wenn Menschen sich öffnen. Du hörst aufmerksam zu, merkst dir Details, stellst gute Fragen. Das stellt Nähe her.
Nur von dir erzählst du wenig. Vielleicht, weil Reden über Dich Energie kostet. Vielleicht auch, weil du gelernt hast, dass Nähe kompliziert wird, wenn man sich zu sehr zeigt.
Manchmal bist Du sehr präsent, manchmal bist Du im nächsten Augenblick verschwunden. Wie gesagt, schnell in den Gedanken und so.

Schweigen und Vertrauen
Es gibt Begegnungen, die wirken vertraut, ohne dass man sich kennt. Darüber stolpere ich immer wieder: Eigentlich kennen wir uns gar nicht.
Vielleicht ist das ein Vertrauen, weil das Leben Spuren hinterlassen hat, wie es das Leben eben so tut. Es ist wie ein stilles Einverständnis, dass niemand dem anderen etwas vormachen muss und Zeit und Raum da ist, sich selbst immer wieder zu fühlen.
Du hast mir einmal ein Reel geschickt. Es ging darum, dass das, was in einer Beziehung zerbrochen ist, allein nicht geheilt werden kann. Es kann nur wirklich heilen mit einer zweiten Person. Das muss nicht unweigerlich die Person sein, mit der es zerbrochen ist, sondern mit jemandem, mit dem Heilung möglich wird.
Über dieses Umstand denke ich häufig nach. Ist das so? Kann das sein? Was wäre, wenn… ?
Und dann ist Frieden
Wie wahr diese Worte waren. Denn in den Begegnungen mit dir ist in mir etwas heiler geworden, ohne dass du oder ich das wussten. Einfach so.
Und jetzt, wo zwischen Gedanken, Worten und Gesten so etwas wie ein Vakuum entsteht, spüre ich eine diese Ruhe in mir. Du bist weiter geflogen in Deine Welt, in der es noch so viel zu verstehen und zu retten gibt, so viele Ungleichheiten zu bekämpfen und so viele Tänze zu tanzen sind. Vielleicht auch in eine Welt, in der es nicht ganz so sehr um Nähe geht. Vielleicht pflegst du auch Spruen des Lebens. Wie gesagt, Du bist impulsiv und schnell in Gedanken.
Dafür fühle ich den Frieden, der in mir wachsen durfte, diese friedliche Art von Ruhe. Und das ist wunderschön. Danke, dass es Dich gibt.

