Fallobst: Geschenk oder Last?
Überall höre ich Klagen über steigende Lebensmittelpreise, über die Unsicherheit, was wir noch bezahlen können, wie hart das Leben geworden ist, wer alles Schuld ist und überhaupt. Und gleichzeitig sehe ich Obstbäume, unter denen das Fallobst liegen bleibt, in Massen: Halb auf der Straße, halb auf dem Acker. Für die Insekten und Tiere ist das natürlich wunderbar, auch der Boden freut sich über die Nährstoffe, die so zurückgeführt werden. Aber für uns Menschen ist es ebenso ein Geschenk, das wir viel öfter annehmen könnten.
Die Standorte werden auf der besonderen Seite von mundraub.org geteilt. Dort wird die Landschaft essbar. Schließlich wurden vor unserer Zeit häufig Obstbaumalleen angelegt zur Versorgung von Dörfern und kleinen Städten. Zu einer Zeit, als der globale Lebensmittelhandel noch nicht so eine Bedeutung hatte.
Das ist die schöne Seite dabei.
Leider gibt es dabei auch eine erschreckende Tatsache: dass Menschen versuchen, Zweige nach unten zu reißen, um noch ein paar Früchte zu ergattern und damit gleich den Baum verletzen, weil, hoppla, der Ast abgerissen wurde. Das muss doch nicht sein!
Das hat weder was mit Wertschätzung der Natur noch mit Wertschätzung der Idee vor vielen Jahrzehnten zu tun. Wie schnell ist da Gier im Spiel oder die Unwissenheit, wann etwas reif ist…
Dabei wäre es so viel einfacher und sinnvoller, das zu nehmen, was eh schon gefallen ist. Frisch aufgesammelt und gleich verarbeitet, noch bevor die Druckstellen durch sind, kann man auch diese Früchte wunderbar nutzen!

Obstmeditation
Ja, es ist Arbeit, das Verarbeiten von Fallobst, vor allem, wenn Du es direkt machst und nicht einfach das Mus aus dem Glas kaufst. Ein Hoch auf klebrige Finger, verwurmte Stellen, die Obstfliegen in der Küche. Manchmal auch Maden und matschige Stellen. Aber wenn ich mir die Zeit nehme, ist es eine fast meditative Tätigkeit. Ich sitze, schneide, dünste, schicke es durch die flotte Lotte, dörrte Schnitze, rühre Mus, koche ein. Es könnte sein, dass hier her die tiefere Bedeutung des Wortes „Lebensmittel“ herstammt: Hier steht Leben in der Mitte.
Das bedeutet nicht, dass ich eine fanatische Selbstversorgerin wäre. Das könnte ich gar nicht bewerkstelligen, erst recht nicht vom Balkon aus. Aber wenn die Natur mir etwas schenkt, dann nehme ich es bewusst an und freue mich wie eine Schneekönigin. Ich nehme mir die Zeit und bereite es in Ruhe vor, nicht unter Druck. Zum Beispiel auf gar keinen Fall mehr mit Twist-off-Gläsern, bei denen es immer schnell-schnell gehen muss und dann spritzt doch heißes Apfelmus auf den Arm und das tut richtig weg.
Ich koche ganz entspannt mit dem Einkochtopf und Weckgläsern ein. Die Gläser sind so schön und praktisch, dass sie auch im Alltag einen Platz in unserer Küche gefunden haben.
Vom Kreislauf zur Selbst-Für-Sorgung
Es gibt ja immer Reste. Wobei wirklich wenig übrig bleibt: Ich schäle nichts, Kerne bleiben dabei, Schale auch – und zwar und vor allem wegen des Aromas. Was übrig bleibt, landet bei mir dann nicht im Müll. Es geht zurück in den Kreislauf, auf den Wurmkompost auf dem Balkon oder zu den Wachteln. Nichts ist verloren, alles verwandelt sich, hach, sind wir heute wieder philosophisch unterwegs!
Passt das in meinen Alltag? Natürlich nicht, nicht in meinen. Ich habe viele wichtigere Dinge zu tun, als Obst zu schnippeln oder mit süßklebrigen mal kurz was zu halten. Aber ich weiß, wie froh und stolz ich sein werde, wenn ich im Winter ein Glas Birnenmus aus dem Schrank hole. Und ich weiß, dass meine Kinder mich sehen, wie ich die Birnen verarbeite, wie ich mit Lebensmitteln umgehe. Sie müssen es noch nicht lieben. Es reicht, dass sie es erleben. In dieser Vorbildhaltung sehe ich mich nämlich auch als Mutter. Und wenn sie dann mal mit schneiden oder rühren, machen wir gleich etwas zusammen. Nur eben nicht mit Druck und „Du musst!“, oder so. Es wird uns später gemeinsam gut schmecken.
Für mich ist es keine Selbstversorgung im engen Sinne (kann ich ja gar nicht voll und ganz) und auch nicht reine Fürsorge (ich hätte ja vieles anderes zu tun in der Zeit).
Ich nenne es Selbst-Für-Sorgung. Sich um sich selbst kümmern, indem ich mich um das kümmere, was mir geschenkt wird und mir Ruhe schenkt und das hat Wirkung in die Zukunft, wenn ich die Früchte verspeise, als Mus, Schnitz oder Saft.

Erntedank im Inneren Garten
Ich bin Gärtnerin, Gartenbauwissenschaftlerin, jetzt Studentin der Forstwissenschaften. Vor allem bin ich jemand, die die Natur auch im vierten Stock in Berlin nicht loslässt. Wenn ich einkoche, dann gärtnere ich in meinem Inneren Garten. Ich fühle mich beschenkt, spüre Dankbarkeit und Wärme. Und lässt mich viel Dankbarkeit spüren, manchmal auch Rührung. Denn damit reihe ich mich ein in einen Reigen von vielen Menschen vor und mit mir. Ich kann mich noch gut an den Speisekeller und den Marmeladenschrank bei meinen Großeltern erinnern, an das diffuse Licht, diesen eigenen Geruch und immer ein bisschen die Frage, was es sonst noch so in den Gläsern gab. So war das auf jeden Fall beim Garten meines Großvaters.
Und genau darum geht es beim Abend für den Inneren Garten am 21.9. Hier kommt meine Einladung an Dich, sich um den eigenen Inneren Garten zu kümmern. Auch ohne äußeren Garten. Du bist herzlich willkommen.

Rezepte
Die Rezepte für Birnenmus, Saft, Schnitze und Pulver habe ich bewusst hier nicht ausführlich beschrieben: Sie sind so einfach, dass sie einen eigenen Artikel verdienen. Dabei achte ich auf ohne Zucker, ohne Schnickschnack, und irgendwie viel zero waste.
Hier geht es zu den Birnenrezepten

