Kiefern und das Harz

Wer durch Brandenburger Wälder streift, findet sie immer wieder: Kiefern mit indianischer Kriegsbemalung – könnte man denken. Es sind auch keine Wegzeichen oder geheime Botschaften. Die tiefen V-förmigen Rillen zeugen aus einer Zeit, als Länder autark sein mussten/wollten/sollten. Als es darum ging, so viel wie möglich aus den eigenen Reihen zu bedienen.

Eine Exkursion führte mich in die Nähe von Eberswalde zu Michael Timm. Er war lange Soldat und ist nun Förster. Erst in Sachsen, dann in Brandenburg. Er hat eine gewisse Affinität zur DDR-Geschichte und Technik. Daher kümmert er sich im Wald auch um den Wegebau (Timm auf Exkursion über Wegebau). Eine sehr wichtige Aufgabe, wenn man bedenkt, dass im Winter die Harvester durch den Wald fahren – und der Boden schon viele Jahr nicht mehr gefroren ist… und der Waldboden und die Waldwege nach einem Ernteeinsatz sehr in Mitleidenschaft gezogen werden.

Jetzt geht es auf eine kleine Zeitreise:


Leben als Harzer

Wer als Harzer arbeitete, verdiente mehr als so mancher Forstamtsleiter – und das mit gutem Grund. Harzen war ein Knochenjob. In aller Frühe ging es los, wenn der Harzfluss am besten war. Abends dann ein zweites Mal, denn auch in den kühlen Stunden vor der Nacht stieg der Druck im Baum und das Harz lief. Diese Arbeit wurde an sich schon sehr gut bezahlt.

Dazwischen blieb Zeit für andere Aufgaben. Viele Harzer hielten Schweine oder anderes Vieh, kümmerten sich um Haus und Hof oder um die Vermarktung ihrer Produkte. Die Arbeit im Wald war eingebettet in ein einfaches, aber effizientes Leben. Und sie war nicht nur körperlich fordernd, sondern auch hochspezialisiert.

Denn Harzen war fast schon eine Saisonarbeit: Im Winter wurde die Arbeit für den Sommer vorbereitet. Mit einem Röteleisen wurde die Stelle markiert, an der im folgenden Jahr die sogenannte Lachte liegen sollte – ein „Fenster“ in der Rinde, das für den Harzfluss vorbereitet wurde (Röteleisen, denn beim Abziehen der Rinde kam darunter eine rötliche Schicht zu Tage.). Ab dem Frühjahr, mit Einsetzen des Saftflusses, begann dann das eigentliche Harzen.

Mit gezielten, V-förmigen Rissen – sorgfältig rechts und links im Schaft angelegt – wurde das Harzsystem des Baumes aktiviert. Eine Woche später kam der nächste Schnitt darunter. Baum für Baum arbeiteten sich die Harzer durch ihren Bestand. Pro Tag bis zu 300 Bäumen, Woche für Woche. (Ein bisschen wie Unkraut zupfen: Kaum bist Du hinten angekommen, fängst Du vorne wieder an.)

Zehn Jahre – so lange wurde ein Baum geharzt. Danach war Schluss. Denn jede Rille ließ sich nur ein einziges Mal verwenden: Das Harz verstopfte die Leitung im Stamm – der Baum hatte sich, im wahrsten Sinne des Wortes, verschlossen.

Werkzeuge

Werkzeug fürs Harzen findet man heute kaum noch. Und wenn, dann nicht im Baumarkt sondern auf dem Trödelmarkt – nicht zu verwechseln mit dem Flohmarkt – hier geht es eher um aktuelles Schnickedöns, was weiter gegeben wird. Auf dem Trödelmarkt geht es um Antikes, Rares. Oder man findet es auf Dachböden, in Schuppen, in Kisten – die Arbeitsschätze aus vergangener Zeit.

Viele der Harzwerkzeuge stammten ursprünglich aus handwerklicher Fertigung, wurden weitergegeben, repariert, nachgebaut. In der DDR ging es sehr pragmatisch zu, es durfte gerne alles repariert werden. So gab es auch Ersatzklingen für die Reißmesser und extra Feilen zum Nachschärfen vor Ort.

Jede Funktion hatte ihr eigenes Werkzeug:

  • Röteleisen zum Freilegen der Lachte
  • Hobel für die Tropfrinne
  • Rissmesser mit Ersatzklingen zum Anreißen
  • Choriner Hobel zum Hobeln
  • Tofphalter zum Einhängen der Töpfe und Führen des Harzes
  • Haltereinschaghilfe zum Einschlagen der Haken für die Harztöpfe
  • Harzgläser zum Auffangen des Harzes
  • Schaber zum Entfernen des Harzes aus den Gläsern
  • Tonnen zum Aufbewahren größerer Harzmengen
  • und am Ende sogar eine Art Harzmobil

Der Choriner Hobel ist besonders alt. Bisher gibt es ihn nur noch auf Fotos.

Harztöpfe & Geräte

Anfangs wurde das Harz in geschwärzte Tontöpfe gesammelt, die von außen dunkel gestrichen wurden, damit das Harz im Sonnenlicht nicht aushärtete. Diese Töpfe waren klein, schwer, zerbrechlich. Bald wurden sie ersetzt – durch Glastöpfe. Diese waren zuerst glatt und rutschig. Später entwickelte man eine besondere geriffelte Oberfläche, damit es nicht so leicht aus der Halterung rutschte. Dieses Spezialglas hatte einen großen Nachteil: Wenn eines zu Boden fiel, zersprang es mit messerscharfen Kanten. Noch heute findet man bei Spaziergängen in alten Harzflächen ihre Scherben. Denn Aufgeräumt wurde gegen Ende des Harzens nicht – aber das kommt später. Heute machen die Gläser mit einem Windlicht auf einer Feier eine schöne Stimmung im Garten.

Ein später Versuch waren Kunststoffgefäße – mit größerem Fassungsvolumen und schwarz eingefärbt, ebenfalls um das Harz weich zu behalten. Doch in der Praxis funktionierten sie kaum. In der Sonne wurden sie weich, verformten sich, rutschten ab oder rissen. Sie setzten sich nicht durch.

Es gab extra Schilder, dass die Töpfe bitte nicht beschädigt werden sollen. Haben sich wohl nicht alle dran gehalten… russische Soldaten machten bei Pausen im Wald wohl gerne Lagerfeuerchen – und das Harz brannte ganz famos.

Das Harzen

am Baum

Die Technik des Harzens ist/war prinzipiell einfach. Es begann mit der Lachte: Das ist das vorbereitete Rindenfenster, das im Winter mit dem Röteleisen freigelegt wurde. Dabei wurde auch die Tropfrinne angelegt und der Halter eingeschlagen. Und damit sich die Harzer nicht auf die Finger hämmerten, wenn sie die Haken befestigten, gab es eine Hakeneinhämmerhilfe. (Auf dem Foto das Werkzeug mit den roten Elementen.)

Sobald im Frühjahr der Saftdruck stieg, konnte das eigentliche Harzen beginnen:

Nach dem Winter wurden die eigentlichen Rillen gerissen – V-förmig, in gleichmäßigem Winkel nach rechts und links oben für guten Ablauf. Woche für Woche kam ein neues V unter das vorherige. Immer tiefer arbeitete sich der Harzer am Stamm entlang, bis zu zehn Jahre lang, je nach geplanter Nutzung.

Das Harz lief die Tropfrinne hinunter und sammelte sich im eingehängten Glas. Braucht man gerade keine Gläser, konnten diese einfach in Haltevorrichtungen kopfüber bis zum nächsten Einsatz eingehängt werden.

Die Richtung der Bearbeitung machte einen Unterschied. Untersuchungen in der DDR zeigten: Bei der aufsteigenden Harzung – also wenn man die Rillen von unten nach oben setzte – floss weniger Harz. In der Praxis war es deutlich messbar. Man sprach von bis zu einem Viertel weniger Ausbeute. Und so wurde eben absteigend geharzt.

nach dem Baum

So banal es klingt: Der Harztopf musste geleert werden. Und das möglichst schnell, bevor das Harz aushärtete.

Diese Arbeit war meist Frauensache. Zuerst gab es eine Art Spachte, mit denen das noch weiche Harz aus den Gläsern geschabt wurde. Weil das doch eher mühsam ist, wurde ein Gerät entwickelt: Die Gläser wurden umgedreht auf ein Gestell gestellt – und das Harz mit den feststehenden Messern herausgeschnitten. Dann tropfte das Harz langsam heraus und sammelte sich darunter in einem Topf oder Tonne.

Um das ganze zu Beschleunigen gab es auch noch eine Speziallösung mit Hefe um das Harz effizienter aus den Gläsern zu lösen.

Das Harzmobil

Später kam die Technik ins Spiel – wenn man das so nennen will: Ein Simson-Motor, umgebaut zum Antrieb einer rotierenden Messeranlage. Ein Harzer bediente den Motor, der andere setzte die Glastöpfe auf die rotierenden Klingen. Das Harz wurde abgeschabt, das Glas blieb leer zurück. Wir reden jetzt hier mal nicht über Unfallverhütungsvorschriften… Für dieses Harzmobil gibt es von damals sogar einen Pfüfbericht, dass es für den forstlichen Einsatz zugelassen sei.

Das Harz wurde in Tonnen gesammelt bis sie voll waren. Am Ende der Saison wurde die Menge für die Prämien benötigt.

Planwirtschaft & Prämien

In der DDR ging es schön nach Planwirtschaft – auch die Harzgewinnung.

Harz war ein strategischer Rohstoff. Und entsprechend wurde die Produktion überwacht, dokumentiert, belohnt. Jeder Liter zählte – und es gab Prämien für besonders ertragreiche Sammler. Leider habe ich die Eckdaten dazu nicht mehr im Kopf.

Nur: Wie misst man so etwas in einem Wald, in dem die Kontrolle nur punktuell möglich ist?

Man schuf eine Lösung: Tonnenweise wurde das Rohharz in Zwischenlagern gesammelt, oft direkt im Bestand. Große Fässer oder grobe Behälter wurden zwischen den Bäumen versteckt – so lange, bis sie voll waren – manchmal in Gruben – damit sie nicht geklaut wurden. Schließlich galt es, die Prämien zu bekommen.

Die Planwirtschaft veränderte auch das Alter der Bäume: Kiefern sollten laut Plan mit 80 Jahren geerntet werden. Also begann man ab einem Alter von 70 Jahren mit der Harzung – zehn Jahre vor der Fällung.

Zum Teil wurden gegen Ende der DDR sogar jüngere Bäume geharzt, weil der Harzbedarf stieg. Der Druck wuchs. Und wie so oft: Der Wald gab, so lange er konnte.

Russland

Harzung war keine DDR-Erfindung, auch wenn uns der Anblick der geharzten Kiefern an die Geschichte des geteilten Deutschlands erinnern. In anderen Ländern wurde auch Harz gesammelt – und zwar mit ähnlich Mitteln.

Soldaten in Russland beim Harzen

Wenn ich mir dieses Foto ansehen, staune ich, wie sehr die Zeit verändert hat im Sinne des Körperschutzes, der Technif, der Ansprüche an Materialen, Ergebnisse und auch Naturschutz.

Harzen war international

Während sich die DDR auf Eigenversorgung konzentrierte, pflegte man den technischen Austausch mit verbündeten Staaten. Harzverarbeitungstechnologien und Geräte wurden exportiert, neue Verfahren gemeinsam erprobt. Doch längst war klar:

Die Harzproduktion war teuer. Im internationalen Vergleich zu aufwendig, zu arbeitsintensiv, zu saisonabhängig. Auch wenn die Mauer nicht gefallen wäre – die Harzproduktion wäre eingestellt worden.

Und so verschwand die industrielle Harzung – in Russland wie in der DDR ziemlich plötzlich. Manche Waldbestände wurden einfach von jetzt auf nachher stehen gelassen – und mit ihnen Gerätschaften und Harzgläser. Daher sind diese Haufen ab und zu noch in Wäldern zu finden.

Verarbeitung & Produkte

Was wurde nun aus dem gesammelten Harz?

Zunächst einmal: Es wurde in großen Fässern gesammelt, transportiert und zwischengelagert. Dann begann die eigentliche Verarbeitung. In der DDR geschah dies in mehrstufigen Verfahren:

  1. Reinigung Das Rohharz enthielt Rindenreste, Schmutz, Insekten. Diese wurden mechanisch und durch Sedimentation entfernt.
  2. Destillation Das gereinigte Harz wurde erhitzt. Dabei entstanden zwei Hauptprodukte:
    • Kolophonium: ein harter, bernsteinfarbener Feststoff
    • Terpentinöl: eine flüchtige, ölige Flüssigkeit

Beide Bestandteile wurden industriell genutzt:

  • Kolophonium kam in Lacken, Seifen, Druckfarben, Klebstoffen und als Flussmittel beim Löten zum Einsatz… und zum Bearbeiten von Geigenbögen. Kenn ich noch.
  • Terpentinöl diente als Lösemittel, Reinigungsmittel und wurde sogar in der pharmazeutischen Industrie verarbeitet.

“Das Harz wurde nach dem Reinigen in einem Zweistufenverfahren destilliert. Dabei trennte man das Terpentinöl vom Kolophonium. Beide Stoffe fanden in der DDR vielseitige industrielle Anwendung.”

(aus: Gewinnung und Verarbeitung von Harz und Harzprodukten, S. 7)

In der DDR war Harz ein strategisch relevanter Rohstoff, da er für viele technische Prozesse unersetzlich war. Auch für die optische Industrie, etwa bei Carl Zeiss Jena, wurde das Harz der Lärche dringend benötigt – z. B. als Dichtmittel in empfindlichen Geräten.

Interessant: Das Harz der Fichte war weniger begehrt, weil es nicht fließen wollte. Hier musste die Rinde großflächig abgetragen und das Harz mühsam abgeschabt werden. Ein Aktion, die nur selten wirtschaftlich war.

Heute wird Harz weltweit synthetisch erzeugt oder in Plantagen geerntet. Die aufwendige Waldarbeit in Deutschland ist Geschichte – geblieben ist das Wissen um die Vielfalt eines Materials, das einst so allgegenwärtig wie unsichtbar war.

Lärchenharz für feinste Technik

Besonders begehrt war das Harz der Lärche – nicht wegen seiner Menge, sondern wegen seiner Qualität. Es war zähflüssig, rein und wurde unter anderem bei Carl Zeiss in Jena verwendet: als Dichtmittel für empfindliche optische Geräte. Nur war die Gewinnung von Lärchenharz auch sehr aufwändig – aufwändiger als die Gewinnung der Kiefernharzes.

Harz im Holz

Das Harz wurde also aktiv gesammelt. Aber es blieb auch im Holz.

Denn durch die Harzung veränderte sich der Baum. Die unteren 1,80 Meter des Stammes – der wertvolle Schaft – wurden über Jahre hinweg eingeritzt. Das Harz verstopfte die Leitungsbahnen, härtete aus. Der Baum versiegelte seine Wunden von innen. Daher konnte man jeden Riss auch nur einmal verwenden. So wurde das Holz an dieser Stelle besonders haltbar: Von Natur aus imprägniert.

Ein Vorteil? Ja. Denn dieses Holz wurde später gezielt genutzt: als Brückenpfosten, als Zaunpfahl, als Rückengeländer im Gelände. Es war witterungsbeständiger als „normales“ Kiefernholz – weil es mit Harz durchzogen war. Der Baum hatte sich selbst konserviert.

Mittlerweile verschwindet dieser Stammabschnitt einfach in Industrieholz. Es sei denn, es findet sich jemand, der damit auch Pfosten oder ähnliches herstellen möchte.

Wetter & Wälder

Harzen war Naturarbeit. Und Naturarbeit folgt den Rhythmen des Wetters.

Besonders an Tagen vor einem Gewitter wurde das Harzen intensiviert. Die Erfahrung zeigte: Kurz vor einem Gewitter steigt der Harzdruck in der Kiefer. Der Baum arbeitet, zieht Wasser, presst Harz. Das war der Anreiz, vor einem Gewitter zum Harzen in den Wald zu gehen und Geld zu verdienen – auch, wenn Wald bei Gewitter lieber zu meiden ist!

Auch das Waldbild war angepasst: Die Wälder, in denen geharzt wurde, waren meist Kahlschlagflächen oder sehr gleichmäßig gepflanzte Reinbestände. Hier ging es nicht um schattige, lebendige Mischwälder. Regelmäßig wurde jeglicher anderer Bewuchs und das Unterholz entfernt: Die Sonne sollte ungehindert auf die Stämme treffen. Denn warme Stämme geben mehr Harz. Ganz einfach.

Heute: Erinnerung & Ausstellung

Heute wird in Deutschland nicht mehr geharzt. Jedenfalls nicht gewerblich. Die Technik hat sich überholt, die Produktionskosten sind zu hoch, die Nachfrage wird international gedeckt. Was bleibt, sind Reste – in den Wäldern, in den Köpfen, in kleinen Ausstellungen oder Führungen.

Manche Wälder wurden nach der Wende einfach so zurückgelassen. Die Töpfe hängen nur noch selten an den Bäumen dafür liegen Gläser immer noch in Haufen auf dem Boden. Manchmal sieht man sie heute noch, zwischen Ästen und Buchenlaub, als stumme Zeugen einer verschwundenen Arbeitswelt.

Andere Reste wurden gesammelt. Michael Timm etwa hat eine kleine Sammlung aufgebaut: Werkzeuge, Gläser, Vorrichtungen … und wenn’s mal ein bisschen anschaulicher werden darf: Mit dem Trabi durch den Wald.

Es ist nicht nostalgisch. Es ist eine besondere Form der Erinnerung. Wer Material findet, kann sich gerne bei mir melden. Ich leite es dann weiter.


Literatur & Quellen:


Übrigens: Ein Tag im Wald bringt nicht nur Geschichten mit sich – sondern manchmal auch ungebetene Gäste. Meine Erfahrung mit Zecken und Borreliose habe ich hier und hier aufgeschrieben.

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