Gestern saß ich mit vier KommilitonInnen auf einem Dachboden des Waldcampus in Eberswalde der Hochschule für nachhaltige Entwicklung. Hier studiere ich seit 2024 im Zweitstudium Forstwirtschaft, also Garten in Groß irgendwie.
Das Gebäude war etwas verwaist, der Bildschirm klein, die Verbindung ab und zu instabil. Es sprach Professor Dr. habil. Lavnyy der Ukrainian National Forestry University aus Lviv.

Urwald und Kulturwald
Professor Lavnyy machte deutlich, dass die Ukraine über Waldflächen verfügt, die zu den letzten großflächigen Urwäldern Mitteleuropas gehören. In Deutschland gibt es keine Urwälder mehr, wenn überhaupt können unsere Wälder als naturnah oder urwaldähnlich eingestuft werden. Dafür gibt es in den Karpaten noch mehrere tausend Hektar unzerschnittene Buchen- und Mischwälder. Diese Wälder gehören mit zum UNESCO Weltkulturerbe und unterscheiden sich deutlich von unseren Kulturforsten: Sie sind durch eine hohe Strukturvielfalt gepräg: alte Bäume, große Mengen an stehendem und liegendem Totholz, natürliche Verjüngung und kleinräumige Störungen, die das Mosaik der Artenzusammensetzung bestimmen.
Urwälder sind damit keine chaotischen Wälder. Sie sind klar definiert: Urwälder entstehen ohne menschliche Pflanzung oder Steuerung, haben eine lange ununterbrochene Kontinuität und eine natürliche Alters- und Artenstruktur. Im Gegensatz dazu sind die meisten Wälder Mitteleuropas Kulturwälder, also durch Aufforstung, Holznutzung und Pflege stark beeinflusst. Schließlich will der Mensch Holz nutzen.
Besonders betont wurde, dass Exkursionen in diese Gebiete derzeit nicht möglich sind, weil die politische Lage dies verhindert. Damit fehlt ein praktisches Element in der Ausbildung und auch ein direkter Zugang zu Ökosystemen, die für die forstliche Forschung in ganz Europa von unschätzbarem Wert sind.
seltsame Normalität des Naturschutzes
Dass der Vortrag aus der Ukraine kam, machte mir besonders deutlich, wie eng Naturwissenschaft, Naturschutz und politische Realität miteinander verflochten sind. Professor Lavnyy sagte beiläufig, er habe zu Beginn gedacht, der Krieg würde nur wenige Monate dauern, vielleicht 3-4 Monate. Inzwischen sind es 3,5 Jahre. Während wir hier über Waldwachstum, Zuwachsraten oder Baumarten und künstliche Verjüngung sprechen, ist es für ihn unmöglich, mit Studierenden Exkursionen in die Urwälder der Karpaten durchzuführen. Forschung wird eingeschränkt, internationale Kooperationen sind erschwert, und doch bleibt der fachliche Austausch bestehen. Schließlich sitzen wir gerade ja zur viert vor dem Laptop und hören ihm zu wie er über seine Universität und „seine“ Wälder redet.
Er stellte seine Universität vor, berichtete von der Bibliothek und von den Möglichkeiten der Studenten vor Ort. Für mich wurde dabei klar: Naturschutz darf nicht an Landesgrenzen enden. Wälder reagieren auf Klima, Boden und Artenzusammensetzung. Im Endeffekt reagieren sie auch auf politische Konflikte. Und die unabhängigen Länder bekommen die Auswirkungen zu spüren, wie ein Land sich um seine Natur kümmert. Stichwort ist hier wieder Ökosystemleistungen.
Und so bestimmen Kriege, ob Wälder erforscht, besucht und geschützt werden können. Dieses Nebeneinander aus wissenschaftlicher Arbeit und kriegerischem Alltag ist für mich schwer greifbar und gleichzeitig paradox eindrücklich.
Was das mit uns zu tun hat
Der Vortrag griff das auf, was wir davor schon besprochen hatten: Wir Menschen sprechen von Leistung, weil wir etwas nutzen wollen, während die Natur einfach funktioniert, so wie sie es kann, unabhängig davon, was wir erwarten. Ein Ökosystem erfüllt seine Funktionen, ob wir das gutheißen oder nicht. Ob wir das regulieren können, wollen, sollen, dürfen – oder eben nicht. Wir als Menschen sind Nutznießer, und das ist an sich weder schlecht noch außergewöhnlich. Jedes Lebewesen spart Energie, wo es nur geht. Ein Wolf läuft lieber auf einem Forstweg, weil es weniger Kraft kostet, wir legen die Wege eben gleich selbst an. Der Unterschied liegt darin, wie wir hinschauen. Planen wir mit Respekt, mit Weitblick, mit Rücksicht auf Kreisläufe oder geht es uns nur um kurzfristigen Nutzen?
Für mich ist klar: Angewandter Waldbau ist sinnvoll, wenn er Verantwortung übernimmt und das Ganze im Blick behält. Wir brauchen Demut und gleichzeitig Pragmatismus. Denn alles unter Schutz zu stellen, ist keine Lösung, so wenig wie blinder Aktionismus. Wer findet ihn, diesen goldenen Mittelweg in einer Welt mit so viel verschiedenen Menschen, Meinungen und Ideen?
Eine konkrete Übung
Daher schlage ich Dir etwas vor: Setz Dich einmal pro Woche für eine Stunde ins Freie, ganz allein, ohne Telefon, und beobachte ein kleines Naturphänomen: das Glitzern auf Wasser, fallende Blätter, Insekten an einer Blüte. Notiere drei Dinge, die Du siehst, und ein Bild, das dabei in Dir aufsteigt. Diese stille Praxis schult Wahrnehmung und verwandelt abstrakte Sorge in konkrete, liebevolle Verantwortung.
Vielleicht sollte daraus ein Schulfach gemacht werden. „Naturzeit“ oder so, würde ich es nennen… weitere Namensideen dürfen abgegeben werden.

Diese Stunde macht mich nachdenklich
In der Stunde über die Urwälder der Ukraine sind mir zwei Dinge bewusst geworden: Zum einen die Sehnsucht, diese Orte mit eigenen Augen zu sehen und zu erleben. Zum anderen die Ernüchterung darüber, dass wir Menschen uns immer wieder selbst im Weg stehen: durch Gewalt, durch Kriege, die Generationen prägen und wertvolle Lebenszeit rauben.
Während Wälder keine Grenzen kennen und ihre Funktionen einfach erfüllen, begrenzen wir uns gegenseitig durch Konflikte. Das ist schwer auszuhalten, wenn man doch weiß: Wir haben nur dieses eine Leben. (Ich gehe jetzt einfach ganz stark davon aus.)
Es bleibt die Frage: Wie können wir als Menschen mit so viel Zerstörungskraft leben und dennoch lernen, die Welt nicht ausschließlich nach Nutzen aufzuteilen? Vielleicht liegt eine Antwort in der kleinen Übung oben: Wenn wir langsam werden, sehen wir mehr. Und wer mehr sieht, überlegt anders, bevor er handelt. Das wünsche ich mir für unsere Welt.
Innenzeit
Ich bin dankbar für diesen Vorlesungsabend, für die rollenden Sprache und für die Erkenntnis, dass Verbindung auch über Grenzen möglich ist. Wenn Du das liest: Versuch die Übung. Schreib mir, was Dir auffällt. Vielleicht ist diese Woche ein Anfang. Vielleicht ist auch meine Innenzeit – Der Garten in Dir ein schöner Start genau dafür.
In diesem Sinne: Werde grün.wild.wunderbar
Deine Gunhild