Schottergärten – wirklich jetzt?
Ich kann es selbst kaum glauben. Ich dachte immer, Schottergärten seien ein stillschweigendes Missverständnis. Ein Ausrutscher der suburbanen Gestaltungsgeschichte. Aber nein – jetzt wird’s offiziell.
Schottergärten stehen auf der Roten Liste.

Nicht, weil sie verboten werden.
Sondern weil sie verschwinden.
Was eigentlich ein leiser Hoffnungsschimmer für die Natur sein könnte, wird hier plötzlich mit amtlichem Ernst zu einem schützenswerten Kulturgut erklärt.
Es ist offiziell: Schottergärten gelten ab sofort als gefährdete Lebensräume. Was in den vergangenen Jahren belächelt, bestaunt und mit Solarleuchten dekoriert wurde, steht jetzt unter Schutz.
Nein, nicht weil es besonders artenreich ist. Sondern weil es so selten geworden ist.
Ich frage mich: Sind wir schon so weit, dass wir uns den Rückbau von ökologisch problematischem Kies als Verlust verklären müssen?
angenommene Nachteile von Schottergärten
Zum Thema Schottergärten dachte ich bisher immer:
1. Kein Lebensraum für Insekten & Kleintiere
Schotterflächen bieten keine Nahrung, kaum Nistmöglichkeiten, keine Rückzugsorte – sie sind ökologische, sterile Wüsten.
2. Aufheizung des Mikroklimas
Steine speichern Hitze und geben sie nachts wieder ab – das verschärft die Hitzeentwicklung in Städten zusätzlich.
3. Versiegelung & Wasserabfluss
Regenwasser kann schlechter versickern. Das belastet die Kanalisation, fördert Überschwemmungen und schädigt das Bodenleben.
4. Pflegeleichter Mythos (Gardenwashing!)
Unkraut sprießt auch zwischen Steinen – dann wird oft mit Glyphosat oder Essig gearbeitet. Das ist weder pflegeleicht noch nachhaltig. Also richtig nichts gewonnen. Ach ja, die Algen, die nach einigen Jahren auftregen, dürfen wir nicht vergessen!
5. Verlust von Bodenqualität
Ohne Humusaufbau und Bodenleben verarmt der Boden unter der Schicht – Verdichtung, Nährstoffarmut, Erosion drohen. Wieder nichts gewonnen.
6. Keine CO₂-Bindung, kein Sauerstoff
Keine Pflanzen = kein Photosyntheseprozess = keine aktive CO₂-Bindung. Stattdessen wird nur passiv Wärme reflektiert.
7. Ästhetische Monotonie
Grau in Grau dominiert – statt Vielfalt, Farbe, Duft, Lebendigkeit. Schottergärten tragen nicht zu Lebensqualität bei.
Das dachte ich. Ich wurde eines besseren belehrt:
Rückkehr des Lebens – eine Gefahr?
Ein sozial-ökologischer Kipppunkt, wie die Fachleute sagen. Schottergärten verschwinden. Das Originalbiotop „Gartenzwerg neben Kies, grobe Sortierung“ droht zu kollabieren.
Was ich sehe: Kiesflächen, die plötzlich wieder Leben zeigen. Moos, das sich ausbreitet. Löwenzahn, der mutig durch die Ritzen schiebt. Und dann – man glaubt es kaum – Giersch! Wie Du den sinnvoll in Schach hälst, kannst Du übrigens hier nachlesen: Hilfe, ich habe Giersch!
Erste Symptome „ungepflegter“ Schottergärten:
- Löwenzahn bricht durch die Steinschicht
- Giersch taucht wie aus dem Nichts auf
- Moose und Algen besiedeln ungebetene Ecken
- Gartenbesitzer:innen zeigen erste Erschöpfungszeichen: Keine Lust mehr auf Kiesrechen, LED-Kugelpolitur und Unkrautbrenner
Und was macht die neue Regierung?

Sie spricht von Bürgerentlastung.
Von mentaler Gesundheit durch klare Strukturen.
Ich fasse es nicht.

Ein Meilenstein der volksnahen Gartenpolitik
Die neue Regierung setzt auf mentale Entlastung: Wenig Pflege, wenig Stress, klare Strukturen. Wem das alles zu viel ist mit Wildbienen, Bodendeckern und Bodenleben – der darf nochmal tief durchatmen.
Denn laut offizieller Liste des BfGÄ (Bundesamt für Gartenästhetik):
Kategorie A.1.01 – stark gefährdet.

Das neue Förderprogramm:
„Schotter retten – Stil bewahren“
- Förderfähig: Kiesflächen ab 12 m²
- Bedingung: Mindestens 3 LED-Kugeln
- Inaktiver Gartenzwerg empfohlen
Bitte melde jetzt noch Deinen Schottergarten an – bevor der Bestand komplett verschwindet.
Zusätzliche Boni können beantragt werden, wenn folgende Gestaltungselemente für die kommenden 10 Jahre im Garten positioniert werden:
- Sichtschutz aus Plastikhecke – Mindesthöhe 1,80 m, Farbton „Efeu im Schatten“ – Blickdichte ohne Biodiversität
- Solarleuchten im Dauerbetrieb – Ab 5 Stück pro 10 m² Sonderzuschlag – Lichtverschmutzung inklusive
- Gabionen mit optionalem Einwurfschlitz – Bonus bei Nutzung als Paketstation oder Rückzugsort für Gartenzwerge
- Automatischer Duftverteiler „Lavendel am Mittelmeer“ – Duftwiedergabe alle 15 Minuten – ersetzt blühende Stauden
- Dekorative Europaletten ohne Funktion – min. 3 Stück, bei dekorativer Alterung (Moosbildung durch Luftfeuchtigkeit) Bonuspunkt „Authentizität“
- Wasserbecken ohne Wasser, bepflanzt mit Kunst-Seerosen – förderbar im Sinne der Illusion ökologischer Vielfalt
- „Wilder“ Steinhaufen als Insektenhotel-Ersatz – Hinweis: keine Insekten enthalten. Optional mit Einbau von LED-Fenstern als Kunstinstallation
- Trockenes Hochbeet mit zersetztem Pflanzsubstrat – Förderung bei dokumentiertem Nutzungsverzicht über drei Jahre
- Plastikrollrasen mit integrierten Blumenmeer – Förderschwerpunkt: ganzjährig saftig, wetterunabhängig farbenfroh – bewässerungsfrei und garantiert bienenfrei. Bonuspunkte bei symmetrischem Farbmuster und UV-Beständigkeit.
- Bodenheizung unter Wegplatten – großzügig beheizt vor allem von Oktober bis März um Streusalz zu sparen.

Gardenwashing at its best
Was als Lösung für Zeitmangel und Pflegeüberforderung verkauft wird, ist in Wahrheit nichts anderes als eine Designentscheidung auf Kosten von Bodenleben, Wasserrückhalt und Artenvielfalt. Können wir uns so etwas leisten?
Statt echter Lösungen für naturnahe, pflegeleichte Gärten, die Mensch und Tier guttun, werden Steinwüsten zum Wohlfühlort erklärt.
Ich sage: Das ist kein Fortschritt. Das ist ein Rückschritt mit Alibi.
Wo sind wir hier – in den USA?
Die absurde Krönung dieser Entwicklung?
Ein Blick über den Atlantik zeigt, wohin es führt, wenn politische Entscheidungen sich endgültig vom ökologischen Verstand abkoppeln:
Die Regierung unter Donald Trump hatte 2019 tatsächlich beschlossen, den Schutz des Amazonas-Regenwaldes zu schwächen – zugunsten wirtschaftlicher Interessen
→ Trump will ans alte Holz in den Regenwäldern Alaskas
Und nun deklarieren wir unsere Schottergärten als gefährdet?
Ich schüttle nur noch den Kopf.
Was bleibt?
Ich bin fassungslos.
Weil wir es eigentlich besser wissen.
Weil es Alternativen gibt – einfache, schöne, lebendige Alternativen. (Wirklich klug Mulchen geht ganz einfach, lies einfach hier und hier.)
Weil es mutige Menschen gibt, die anfangen, ihre Gärten zu verwandeln.
Und weil genau das der Weg ist: Zurück zur Natur. Vorwärts in eine Gartenkultur, die wieder atmet.
Und ja – ich darf lachen. Ich darf satirisch sein. Weil es manchmal nur so auszuhalten ist.
Wenn Dir das Thema am Herzen liegt, dann teil diesen Artikel.
Und wenn Du jemanden kennst, der noch an seinem Kies festhält – zeig ihm, dass Veränderung nicht nur möglich, sondern wunderschön ist.
In diesem Sinne – schönen 1. April 2025
2 Antworten
Liebe Gunhild,
ich hätte nie geglaubt, dass Schottergärten einmal auf der Roten Liste landen würde. Ich war fassungslos, als ich deinen wertvollen Beitrag gelesen habe. Die da oben im Bundesamt für ätherische Stilfragen an ihren grünen Verwaltungsschreibtischen sehen wohl den Stein vor lauter Kiesel nicht mehr, wenn sie an dem Vorhaben festhalten. Wir brauchen die Schottergärten und müssen für deren Erhalt kämpfen! Während die Parkraumbewirtschaftung in Berlin überall zunimmt, nehmen die uns jetzt auch noch die kostenlosen Schottergärten-Parkplätze im Vorgarten unserer Stadtvilla weg.
Gibt es eine Petition, die wir unterschreiben können?
Lieber Bernhard,
ich bin ganz bei Dir – wo kämen wir denn hin, wenn plötzlich wieder Pflanzen in Gärten wachsen dürften?! 🫣 Und die armen Gartenzwerge? Heimatlos!
Ich fürchte, die Petition gegen die Wiedergartenisierung liegt derzeit noch unter einer dicken Schicht Rindenmulch. Aber ich halte die Augen offen – vielleicht gibt’s bald Fördermittel für solarbetriebene Kiespflegegeräte mit integriertem Feinstaubfilter.
Danke für Deinen herrlichen Kommentar – Du hast mir den Tag versüßt!
Herzliche Grüße aus dem amtlich unordentlichen Garten – ach nee, ist ja ein Balkon.
Deine Gunhild