Der Geschmack von Apfelkernen

von Katharina Hagena

Iris, eine junge Frau, kehrt nach dem Tod ihrer Großmutter in deren Haus zurück. Noch ist nicht klar, ob sie es behalten will. Zwischen Möbeln, Fotos und Dingen, die niemand mehr täglich braucht, liegt draußen ein Garten – übervoll, fast verwildert, mit Obstbäumen, Stauden und Spuren vieler Jahre.

Genau das war das Gefühl, als ich im Garten meiner Großmutter stand. Ein unglaublich schönes, sinnliches Buch mit der Einladung, keine Angst zu haben.

Allein das Coverbild lässt mich schon reisen.

Familiengeschichte in drei Generationen

In Rückblenden entfaltet sich eine Familiengeschichte, die über drei Generationen reicht:

Da ist Bertha, die Großmutter, deren Erinnerungen durch die Demenz an Form verlieren. Mal sind sie fast vollständig verschwunden, mal tauchen einzelne Bilder auf, als wären sie nie weg gewesen.

Ihre Töchter und schließlich Iris selbst tragen ihre eigenen Erlebnisse dazu bei – wie einzelne Stimmen, die im Laufe der Zeit ein gemeinsames Lied ergeben.

Und damit ist es ein wundersamer Frauenroman. Mich hat er sehr berührt. Ich liebe dieses nachdenklichen Momente, die ein Buch auslösen.

Kleidung als Verbindung zur Vergangenheit

Zwischen all den Gegenständen findet Iris die Kleider ihrer Großmutter. Sie probiert sie an und schlüpft damit ein Stück weit in ihr Leben. Kleider oder auch Kleidung prägen unsere Kinder, denn es ist das äußere Erscheinungsbild, dass wir offensichtlich nach Außen tragen.

Die Kleider erzählen von einem Leben, das vor ihrer eigenen Zeit lag. Sie kannte ihre Großmutter ja nur als alte Frau, doch auch sie war einmal jung. Und doch erkennt sie sich in ihnen selbst wieder wie in einem Bild. Immer dieses abgefahrenen Parallelleben!

Der Garten als lebendiges Archiv

Jetzt wird es spannend. Vor allem vor dem Hintergrund, dass ich mir gerade Gedanken mache über die Emotionalität der Gärten und wie unsere Erinnerung an Kindheitsgärten unser jetztiges Gartenleben beeinflussen (können).

Der Garten ist in diesem Buch kein dekorativer Hintergrund oder überromantisierte Kulisse. Er ist der Speicher und gleichermaßen ein Anker, ein Verbindungsstück durch mehrere Generationen.

Apfelbäume, die Jahr für Jahr Früchte tragen und Geschichten erleben, Stauden, die über Jahrzehnte gewachsen sind, Ecken, die verwildern, weil sich niemand mehr kümmert. Für Bertha ist der Garten am Ende nur noch ein Raum, den sie kennt. Weil sie immer und immer wieder dort war. Weil sie dort sein durfte. Für Iris wird er ein Anker – ein Ort, der Orientierung gibt, wenn Erinnerungen sich verschieben.

Gerade für Kriegskinder und Kriegsenkel ist diese Verbindung zum Garten ein tief verankertes Muster. Ein Garten konnte ernähren, Sicherheit geben, den Alltag ordnen. Auch wenn das im Buch nie groß ausgesprochen wird, ist es da – in den Bildern, den Beschreibungen, dem Gefühl, das bleibt.

Und genau mit diesem Gefühl denke ich an die Gärten meiner Großmutter und meines Großvaters.

Der Geschmack der Erinnerungen

Der Titel Der Geschmack von Apfelkernen greift eine Kindheitserinnerung auf und wird zum Sinnbild dafür, wie Erinnerungen funktionieren: Ein Biss, ein Geruch, ein Detail – und plötzlich ist alles wieder da. Das Buch zeigt, wie nah Gegenwart und Vergangenheit beieinander liegen, wenn etwas den richtigen Auslöser findet. Und – zack – wird ein Garten emotional!

Dieses Buch ist ein leises Buch und ich glaube, es ist mein Lieblingsbuch, wenn es um das Erleben von Gärten geht. Denn Gärten sind einfach viel mehr als nur Rasen-Thujahecke-Auffahrt.

In diesem Sinne: Lies Dich grün.wild.wunderbar

Deine Gunhild

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Ja, das Buch wurde auch verfilmt – aber ich mag den Film in meinem Kopf zu diesem Buch lieber, daher habe ich ihn nicht angesehen. Daher: Viel Freude beim Lesen!

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