Manchmal beginnt ein besonderer Tag mit einem ganz kleinen, anderen Moment als gedacht. Gerade war ich aus Berlin herausgefahren, in Schleife läuft bei bester Laune Made me look, weil mir ein Insta-Reel nicht aus dem Kopf geht. Und dann steht da ein Wandergeselle in der Morgensonne. Was, es gibt noch Leute, die den Finger raus halten, um von A nach B zu kommen?
Also Kurve fahren, anhalten, Weg checken und feststellen, dass ich ihn eine Weile mitnehmen kann. Ich fahre ja eh.
Schon das erste Abgleichen unserer Wege bringt mich zum Schmunzeln. Er hat kein Handy, kein Navi, keine blaue Linie, die uns mit minutengenauen Zeitangabe den Weg vorgibt und den Weg plant. Stattdessen zieht er eine laminierte Landkarte aus seiner Tasche und es dauert eine Weile, bis der ungefähre Weg klar war. Betonung liegt auf ungefähr. Wie war das mit „Der Weg ist das Ziel!“ und so?
Er ist ein angenehm ruhiger Mensch: wach, aufgeschlossen, lachte gerne, war präsent, ohne sich aufzudrängen, wirkte manchmal wie in einer anderen Welt. Aber es ist ja auch noch früh am Morgen. Am Ende unserer Fahrt fragte ich, ob ich ein Foto machen dürfe. Er bedankte sich ausdrücklich dafür. Denn oft, erzählte er, wird einfach das Handy gezückt, als sei er eine Sensation, die durch die Welt rennt. Respekt, Rücksicht, Wertschätzung… da kommt es mir wieder. Diese Werte haben wir irgendwie ganz weit hinten in unseren Schubladen vergraben.


Was Wanderschaft eigentlich bedeutet
Die Tradition der Wanderschaft reicht zurück bis ins Mittelalter. Junge Gesellen zogen nach ihrer Lehre für mehrere Jahre durch fremde Regionen, um Erfahrungen zu sammeln, andere Betriebe kennenzulernen und ihr Handwerk zu vertiefen, sie sind auf der Walz. Bis heute wird diese Tradition in Berufen wie Bootsbau, Zimmerei oder Steinmetz gepflegt. Wer auf Wanderschaft geht, trägt die typische Kluft, reist mit wenig Besitz und darf dem Heimatort nicht zu nahe kommen. Verabredungen laufen über feste Treffpunkte oder kleine Hinweise, manchmal auch einfach über Warten.
Über dieses immaterielle Kulturerbe wurde sogar eine Dissertation geschrieben: Wandergesellen auf der Walz
Wärhend dieser Zeit des Lernens ist fachlich und auch menschlich. Man lernt, sich einzulassen, Gastfreundschaft anzunehmen, Netzwerke zu pflegen ganz ohne die digitalen Sicherheiten, die wir für selbstverständlich halten.
Ein Boot, das nicht klassisch effizient war
Er erzählte, dass er Bootsbauer sei: Ursprünglich aus Süddeutschland, gelernt an der Ostsee, hatte vorher er schon eine Ausbildung gemacht und anderes ausprobiert, war im Ausland, hatte Erfahrungen gesammelt. Und irgendwann, zum für ihn passenden Zeitpunkt, kam die Entscheidung: Bootsbau. Sehr smart, wo ich doch gerade auf dem Weg in die Vorlesung zum Zweitstudium bin.
Ich frage ihn nach seiner schönsten Erfahrung und er erzählte von seinem ersten Lehrjahr: ein Boot, das sehr teuer gekauft und noch teurer restauriert wurde. Eigentlich ist so ein Projekt betriebswirtschaftlich betrachtet ein Minusgeschäft. Doch er konnte daran richtig viel lernen. Toll, dass es solche Projekte noch gibt und dafür nicht nur mit Geld sondern auch mit Anerkennung und Wertschätzung gezahlt wird.
Das fand ich faszinierend. Denn es widerspricht so sehr der Logik unserer Zeit: schneller, billiger, effizienter. Es erinnert an meinen eigenen Weg im Gartenbau: Pflanzen wachsen nicht auf Knopfdruck. Sie brauchen Zeit, gute Bedingungen und den Raum, sich zu entfalten.
Gelassenheit statt SMS
In einer kleinen Stadt in Brandenburg wollen sie sich treffen und einen befreundeten Geselle auf der letzten Etappe der Wanderjahr beim Einlaufen in die Heimat begleiten. Und wie verständigen sie sich ohne Handy? Mit einer Landkarte findet man zwar den Ort, aber Menschen?
„Also natürlich gehen wir in ein Internetcafé oder sowas und schreiben eine E-Mail. Das funktioniert sehr gut.“ Aber ansonsten gibt es irgendwie Punkte, wo dann was hinterlassen wurde. Und dann guckt man weiter und setzt man sich in ein Café und wartet. Genaueres wollte er nicht erzählen, also frage ich auch nicht weiter.
Wie inspirativ ist das denn bitte, dass man sich verabredet auf ungefähr und dann auch die Zeit mitbringt zu warten. Und nicht, oh ich bin drei Minuten zu spät, ich muss eine SMS schicken und mich entschuldigen und sowas. Nee, ohne SMS, sondern mit so einer Gelassenheit.
Die Sommerbaustelle
Und dann erzählte er noch von der großen Sommerbaustelle. Jedes Jahr organisieren die Gesellen ein Projekt, das sie selbst auswählen, etwa ein Boot restaurieren für einen gemeinnützigen Verein, der mit Jugendlichen arbeitet. Bis zu hundert HandwerkerInnen kommen dann über einen Monat zusammen, bringen ihr Wissen ein, feiern, lernen und arbeiten zusammen. Da steckt kein politisches Programm, keine Institution oder Konzeptwerkstatt dahinter. Das ist einfach Eigenverantwortung, Stolz, Freude. Diese Eigenschaften dürfen wir auch wieder aus der Schulbade kramen. Damit macht das Leben mehr Spaß!
Zwei Packstücke und ein Schwedenhaus
Ein bisschen lustig fand ich den Kontrast zwischen uns. Er mit zwei Packstücken, zu Fuß durch die Lande. Ich mit meinem rollenden Schwedenhaus, gemütlich und mobil. Andere ziehen gar nicht los, wieder andere mit riesigen Wohnmobilen. Es geht nicht darum, was besser oder schlechter ist. Es zeigt nur, wie unterschiedlich Menschen sind, welche Ansprüche sie haben, wie viel Mut sie aufbringen, Dinge auszuprobieren. Das ist mir schon auf unserer diesjährigen Tour durch Schweden aufgefallen.
Ob das ein Zufall war? Vielleicht. Oder eben das, was einem zufällt, wenn man bereit ist. Dieser Morgen war ein Geschenk für uns beide, haben wir festgestellt: Rotbraunen Rinder auf der Weide, lange Schatten der Herbstsonne und ein netter Plauch in meiner Feuerwehr während wir durch Brandenburg rollen.
Solche Schatzmomente liegen überall. Sie zeigen uns: Leben ist mehr als Effizienz: Es ist Begegnung, Gelassenheit, Handwerksstolz und für mich auch die Erinnerung daran, dass Dinge wachsen dürfen. Ob ein Boot oder eine Pflanze, ob eine Freundschaft oder ein Gedanke.
Mein eigener Weg oder warum ich nicht auf Wanderschaft ging
Ich selbst habe keine Wanderschaft gemacht. Nach meiner Ausbildung im Zierpflanzenbau war ich ernüchtert: Dieses ganze Pestizid-Denken, ständig neues Substrat verkaufen und so wenig wirliche Natur, ich hatte so richtig die Nase voll von Gärtnern und Gärten und Pflanzen und überhaupt! (Das hat sich ja alles glücklicherweise in Geobotanik beim Biogeographie-Studium wieder zurechtgerückt…)
Aber dieser Morgen mit dem Bootsbauer hat mich erinnert: Es gibt immer Möglichkeiten, langsamer zu werden, die Welt mit anderen Augen zu sehen.
Daher bin ich froh über meinen Garten-Jahreskreis und die Innenzeit
Genau diese Erfahrungen: dass wir nicht alles durchplanen können und dass gerade im Ungefähren oft das Wertvollste liegt, steckt eben auch in meinen Angeboten:
- In der Innenzeit lade ich Dich ein, Momente wie diesen für Dich selbst zu finden. Zeitfenster, in denen Du ankommst, durchatmest und entdeckst, was Dir zufällt, wenn Du bereit bist.
- Und im Garten-Jahreskreis geht es um genau diesen Rhythmus: Natur beobachten, Prozesse verstehen, Gelassenheit lernen. Kein hektisches „sofort Ergebnis“, sondern Vertrauen in den Kreislauf.
In diesem Sinne: Wandere grün.wild.wunderbar
Deine Gunhild
