
Es ist Ende Juli. Morgen ist meine letzte Prüfung in diesem Semester: 180 Minuten irgendwas mit Recht. 😅
Ich lebe im Tunnel, lerne Begriffe, Zusammenhänge, Definitionen – Zivilrecht, öffentliches Recht. Manchmal öffnen sich mir kleine Denkräume und ich erahne Zusammenhänge.
Ich wandere mit den Lernkarten über die Rieselfelder, und es schiebt sich ein anderes Thema in den Vordergrund: Minimalismus.
Was braucht der Mensch wirklich, um glücklich zu sein?
Ich lasse die Frage jetzt mal so stehen oder lies sie noch einmal: Was brauchst Du wirklich, um glücklich zu sein?
Auf dem Rückweg lasse ich den Blick schweifen. Dann will die Schafgarbe zu mir. Eigentlich wollte ich ja einen klaren, weißen Strauß pflücken – ganz im Stil meines gerade erdachten Garten-Minimalismus. Aber dann kommt der Rainfarn dazu. Und das Gelb zieht langsam ein, wie eine Vorahnung vom Spätsommer. Am Ende trage ich einen ganzen Arm voll Pflanzen zurück – Hochsommer in der Hand.
Das hier steckt alles in meinem Blumenstrauß:
Schafgarbe (Achillea millefolium)
Die Schafgarbe ist die erste, die in meinen Blumenstrauß möchte. Diese weiße Standardpflanze auf Wiesen und an Wegrändern ist schön, robust, aromatisch und gesund. Eine der stärksten Pflanzen, die ich kenne. Und doch kann man sie gar nicht so einfach pflücken. Zu schnell hat man die ganze Pflanze in der Hand. Daher ist es sinnvoll, ein Messerchen oder eine kleine Gartenschere dabei zu haben. Ich mag sie sehr und liebe den herben Duft. Ich finde ihn irgendwie beruhigend und wohlwollend.



Einjähriges Berufkraut (Erigeron annuus)
Das ist es: Im dogmatischen Naturgarten Staatsfeind Nummer 1. Oder ein Feinstrahl, zarter als ein Gänseblümchen, nur eben unglaublich konkurrenzzstark. Dieser Neophyt lässt sich wunderschön in Sträuße integrieren – und kann sich dann draußen nicht mehr aussamen. Wir haben also eine natürliche Win-Win-Situation. 😊



Graukresse (Berteroa incana)
Womit wir schon beim nächsten fast invasive , aber auf jeden Fall Neophyt sind. Die Graukresse blüht und fruchtet gleichzeitig. So kann sie sich unglaublich schnell auf trockenen, heißen Standorten vermehren und ausbreiten. Das macht sie in den vergangenen Jahres sehr effektiv in Nordostdeutschland.
Für die Weidetierhaltung kann sie ein Problem werden, da sie ähnlich wie das Jakobskreuzkraut für die Tiere giftige Stoffe enthält. Gerade bei auf Flächen mit viel Bodenverwundung und Überweidung kommt sie häufig vor, weil sie die offenen Bodenstellen für ihr Wachstum nutzt.



Jakobskreuzkraut (Senecio jacobaea)
„Hochgiftig“, sagen sie in den Medien, in Reels und aufgeregten Stories. Und ja – das stimmt Jakobskreuzkraut enthält viele Giftstoffe für uns und viele Tiere. Aber es ist nicht giftig für den Blutbären. Das ist ein hübscher, schwarz-rot Spezialist unter den Schmetterlingen, der nur an dieser Pflanze überlebt. Vielleicht muss man nicht alles immer rausreißen – vielleicht reicht ein bisschen mehr Kontext. Schließlich reden wir ja auch ständig vom Insektensterben, oder? Warum nehmen wir dem Blutbären dann den Lebensraum?
Der Blutbär wird mittlerweile sogar schon als Bekämpfung gegen das Jakobskreuzkraut eingesetzt, weil die Raupen sehr hungrig sind.



Rainfarn (Tanacetum vulgare)
Was für ein Duft! Genau wie bei der Schafgarbe ist er eher herb. Früher habe ich mit getrocknetem Rainfarn meine Bienen beraucht, damit sie mich an den Honig lassen.



Kanadische Goldrute (Solidago canadensis)
Tja, noch so was wie die Graukresse und das Berufskraut: Die Goldrute breitet sich auch massiv aus und verdrängt andere Pflanzen. Sie wird nicht gerne gefressen – daher bleibt sie ja auch auf den Wiesen stehen. Also nehme ich ein paar mit für den Strauß.

Fruchtstände des Riesen-Sauerampfer (Rumex thyrsiflorus)
Dann gab es noch ein bisschen Sauerampfer. Ich wollte ja weiß und nicht gelb oder rötlich. Und so hab ich die hellen Blütenstände ausgesucht. Sauerampfer zeigt an, dass hier der Boden verdichtet ist, kein Wunder auf den Rieselfeldern.


Loesels Rauke (Sisymbrium loeselii)
Und dann bommelt da noch ganz leicht so was wie die Schwester von Rukola. Auch sie wächst gerne auf Störflächen, also an Wegen, Ackerrändern, auf Brachen. Ein



Mein Blumenstrauß
Ich freue mich jetzt auf jeden Fall über meinen gelb-weißen, intensiv-schweren Sommerstrauß auf dem Klavier. Ich denke an alltheflowers, die Büros mit einem Blumenstrauß-Abo versorgen aus vor Ort gewachsenen Wildblumen. Ja! Wildblumen dürfen und sollen wieder salonfähig werden!
Und ich denke an Uli von floral-artist die Feierlichkeiten mit Extra-Arrangements mit Wildblumen gestaltet. Mehr davon 😁



Und jetzt?
Wann hast Du Dir eigentlich Deinen letzten Blumenstrauß gepflückt? Wann bist Du das letzte Mal barfuß über eine Wiese gelaufen und hast Dich von der Faszination über all die Blumen einfangen gelassen wie ein Kind? Meine Kinder haben mir gerne Blumensträuße gebracht.
Ich muss bei dieser Frage immer an meinen Ex-Partner denken. Er kaufte lieber Blumen, als sie zu pflücken. Weil sie dann ja „nicht mehr da“ seien. Für ihn war das Pflücken ein Verlust. Für mich ist es ein Geschenk. Ein Geschenk von der Natur aus der Fülle.
Ich komme aus der Pflanzenproduktion – ich weiß, wie viele Gifte in gekauften Blumen stecken. Ich möchte das nicht mehr: Nicht an meinen Händen und nicht in meiner Wohnung!
Für mich ist die Natur dazu da, mit Bedacht genutzt zu werden. Ich pflücke nicht in Schutzgebieten. Ich reiße nichts aus. Ich nehme nur, was üppig wächst, und immer nur einen Teil. So war es auch bei meiner Großmutter. Auf ihrem Tisch standen immer kleine Väschen – manchmal nur zwei Schneeglöckchen. Und trotzdem: Es war immer ein Strauß. Immer ein Zeichen dafür, dass es draußen und in uns lebt.

Und was ist nun mit dem Gartenminimalismus?
Ich habe überlegt: Gartenminimalismus bedeutet übrigens nicht Kies, Reduktionskonzept oder grafische Ordnung.
Es ist für mich ein natürliches Geschenk und ein Stück weit Befreiung!
Er ist genau das, was gerade blüht. Überfluss und doch kein extra Konsum.
In diesem Sinne wünsche ich Dir schöne Sommertage mit sommerlichen Momenten.
Und weil es nur einer war und farblich nicht in den Strauß gepasst hat, habe ich den Staudenlein (Linum perenne) stehen gelassen. Aber schön ist er, oder?!!! Ich habe mich so sehr über sein Blau gefreut!


